Auszug aus dem Buch Cölöpök (Pfähle)
Während der UNO-Vollversammlung im September 1989 in New York traf ich Genscher in seinem Hotelzimmer zu einer Besprechung. Es war von allerlei die Rede, auch von den Perspektiven einer Annäherung der zwei deutschen Staaten sprachen wir. Am Ende des Gesprächs überreichte ich ihm in einem Schmucketui ein Stück Stacheldraht des ungarisch-österreichischen „Eisernen Vorhangs“. Genscher war sehr gerührt, er hatte Tränen in den Augen und meinte, die Überreichung dieses Souvenirs sei eines der großen Ereignisse seines Lebens gewesen. Als er mich zur Tür begleitete, fragte er, wann ich nach Hause reisen würde.
„Ich weiß nicht, weil wir noch einen entsprechenden Flug suchen.“
„Kommen Sie doch mit mir, wir sind mit einer Sondermaschine hier, wir nehmen Sie gerne mit.“
Ich nahm das Angebot freudig an, unterwegs unterhielten wir uns, dann gingen wir schlafen und kamen rechtzeitig und ohne Probleme zuhause an. Im Oktober trafen wir uns wiederum, auf dem Kongress der politischen Organisation „Europa-Union Deutschland“ in Hamburg. Mit meiner Person wurde das erste Mal ein Gast aus Osteuropa eingeladen. Meine Rede war eine gute Gelegenheit, die Kongressteilnehmer über die Prozesse in Ungarn zu informieren.
Später, auf dem Treffen der Außenminister des Warschauer Pakts, wurde im Rahmen eines informellen Gesprächs über das Problem der deutschen Wiedervereinigung beraten, und ich glaube, dass im Lager der sozialistischen Länder hier das erste Mal zu spüren war, dass der Widerstand nachließ. Als ich im Januar 1990 in Mainz, der Hauptstadt des Bundeslandes Rheinland-Pfalz, die Goldene Medaille der Gustav Stresemann-Gesellschaft überreicht bekam, betonte ich in meiner Rede, dass „ein vereintes Europa mit einem zweigeteilten Deutschland unvorstellbar“ sei. Auf den Besprechungen mit den sozialistischen Partnern, wurde unter all den internationalen Fragen die Wiedervereinigung Deutschlands und die Nato-Mitgliedschaft eines vereinten Deutschlands zur Priorität.
Am 10. März 1990 führte ich vor der Unterzeichnung des bilateralen Übereinkommens über den Abzug der sowjetischen Truppen aus Ungarn in Moskau ein Vier-Augen-Gespräch mit Schewardnadse. Er beklagte sich bitter über die Angriffe der Konservativen, besonders wegen des sowjetischen Widerstands gegen die deutsche Wiedervereinigung. Er meinte, viele würden aus der Angelegenheit Kapital in der sowjetischen Innenpolitik schlagen mit Sätzen wie: „Jetzt haben wir vergebens unser Blut im Kampf gegen den Nazismus vergossen.“ Ich betonte aber, dass man den Lauf der Geschichte nicht aufhalten könne, man dürfe die heutige Welt und die heutigen Deutschen nicht aus der Perspektive der Ereignisse des Zweiten Weltkriegs betrachten. Ich erklärte, dass die ungarische Regierung in Sachen Wiedervereinigung und Nato-Mitgliedschaft auf Seiten der Deutschen stehe.
Eine Woche später trafen sich die Außenminister des Warschauer Pakts zu Beratungen in Prag. Schewardnadse hielt hier eine außerordentlich scharfe Rede gegen die Nato-Mitgliedschaft eines vereinten Deutschland und bediente sich vieler alter, veralteter Eigenschaftswörter im Zusammenhang mit den Deutschen. Während der Wortmeldungen der übrigen Kollegen bat ich um eine Pause und lud meinen tschechoslowakischen Kollegen zu einem Gespräch ein. Ich versuchte ihn zu überzeugen, dass wir uns vehement für die deutschen Interessen einsetzen müssten, weil sonst der sowjetische Standpunkt die Beratungen beherrschen würde. Er stimmte mir zu und als erster, der nach der Pause das Wort ergriff, begann ich auch gleich mit Schewardnadse zu diskutieren und wurde dabei von meinem tschechoslowakischen Partner unterstützt. Obwohl sich keine einheitliche Meinung ergab, war es uns doch gelungen, die Gefahr, dass der sowjetische Standpunkt in der deutschen Frage zur Unbeweglichkeit erstarrt, abzuwenden. In den Erklärungen gegenüber der Presse, dem Fernsehen, bei Auftritten, Vorträgen machten wir unseren Standpunkt in dieser Frage deutlich.
Ich werde den anerkennenden Dank, die Zuneigung, die Hilfsbereitschaft gegenüber dem ungarischen Volk von Seiten der Deutschen niemals vergessen. Ich bin mir sicher, dass sich am Ende der 1980er Jahre zwischen Deutschland und Ungarn eine neue Freundschaft und selbstlose Zusammenarbeit entwickelte.